The Art of Protest

Ursula Maria Probst

Die Welt ist global komplexer geworden, im gegenwärtigen Kunstbetrieb stolpern wir im Konnex von Kunst und Kapital über eine Vernachlässigung von Praxisformen, die an sozialen Initiativen mitwirken oder aktionistisch eingreifen. Das Perfide am Neoliberalismus ist die anhaltende Vorstellung davon, dass Kunst und Kapital sich zweiteilen ließen. Die dadurch bewirkte Doppelzüngigkeit erfasst unsere Lebenspraxen. Das Ringen um Zugangsrechte, aggressive Enteignungswellen, exzessive Ungleichverteilung konfrontieren uns mit der Frage: Wie können wir uns durch Kunstprojekte gegen bestehende, sich weiter zementierende lobbyistischen Machtverhältnisse und deren Repräsentationsmechanismen, dem Prozess der Entzivilisierung verhalten, gegen das brutale Aussortieren, wie es die Soziologin Saskia Sassen nennt, protestieren und neue politische Dimensionen fairer Existenzen erschließen? Mit ihren auf komplexen kulturellen Recherchen  basierenden konzeptuellen, künstlerischen Methoden, befasst sich Ina Wudtke konsequent damit, wie die angesprochenen Themenkomplexe neu verhandelt werden können.

Ina Wudtke aktiviert mit neuen ästhetischen Formaten ein kritisches Potential der sozial und politisch engagierten Kunst mit der sie der sozialen Entleerung unserer gegenwärtigen Gesellschaft entgegenarbeitet. Als Anti-Gentrifizierungs-Statement produzierte sie 2011 unter ihrem Pseudonym T-INA Darling das Konzeptalbum The Fine Art of Living. Sprache und Text, Lyrics, schwarzer Sound, MC-ing, Praktiken des Mixens und Remixens setzt sie als Protest gegen die skrupellos vorgehenden Immobilienspekulationen in Berlin ein. Wütend rappt sie über die Probleme der einkommensschwachen Mieter_Innen, die durch die Privatisierung des sozialen Wohnungsbaus in Berlin von Delogierungsprozessen betroffen sind. I AM THE LAW ist der Titel einer der Songs des Albums den sie für ihre Videoarbeit Parade (2010) verwendet. Sie performte diesen Titel live während ihrer Teilnahme an einer Demonstration gegen steigende Mieten in Berlin.

Als Reaktion auf die perfiden Vermarktungsstrategien einer Immobilienfirma, die unter dem Slogan „The Fine Art of Living“ ihre Luxusimmobilien in Berlin Mitte und Prenzlauer Berg verkaufte und einkommensschwache Mieter_Innen infolge verdrängte, kodiert Ina Wudtke deren Slogan zum Titel ihres Protestalbums um. Zum Schreiben der Lyrics ihrer Songs wurde sie u.a. durch die Lektüre von Kurt Tucholsky angeregt, der Songtexte in Berliner Mundart schrieb, das Leben in der Weimarer Republik vertonte und in Zeitungen politische Gedichte und Pamphlete publizierte. Für ihre englischen Texte inspirierte sie der Aktivist und Poet Langston Hughes, der im New York der 30er-60er Jahre in seinen Texten stark vom Blues und Jazz beeinflusst war. Hughes befasste sich in seinen Gedichten u.a. mit dem rassistischen Wohnungsmarkt in den USA. Drei Gedichte von Langston Hughes hat Ina Wudtke auf ihr Album eingesprochen: Ballad of the Landlord, Little Song Of Housing und Madam And The Rent Man. Über ihre Recherchen zu Langston Hughes ist sie auf May Ayim gestoßen – eine Dichterin, deren Gedicht Berlin ebenfalls auf dem Album rezitiert wird. Die Feministin May Ayim hat die Organisation Schwarze Deutsche (heute: schwarze Menschen in Deutschland) in Berlin mitbegründet. Die Künstlerin lenkt die Aufmerksamkeit auf wichtige Vorreiter_Innen und nimmt durch ein Wiederaufgreifen und Neuinterpretieren von deren Werken eine historische Neukodierung vor. Ausgehend von den Songtexten ihres Konzeptalbums The Fine Art of Living entwickelte Ina Wudtkes Textilarbeiten wie HOOD (2013), I AM THE LAW (2014), oder LANDLORD BLUES (2016), Performances wie Kuhle Wampe Remix (2012) und Modernisierungsklage (2015) sowie die Videos Parade (2010) und Swing Lesson (2013).

In Swing Lesson bezieht sich Ina Wudtke auf Adrian Pipers Video und Performances Funk Lessons (1982-84), die das Musikgenre Funk als interpersonelles und -kulturelles Kommunikationsmittel gegen Xenophobien und soziale Ausgrenzungen heranzog. Adrian Pipers Funk Lessons lag ein soziopolitisches Konzept zugrunde an dem sie über mehrere Jahre arbeitete: „Das längerfristige Ziel der kleineren oder größeren Performances besteht darin, die soziale Identität der beteiligten Personen neu zu strukturieren, und zwar dadurch, dass ihnen ein gemeinsames Kommunikationsmedium – Funk Musik und Tanz zur Verfügung gestellt wird.“[1] Der Titelsong des Albums The Fine Art of Living bildete den  Ausgangspunkt für die von Wudtke organisierten kollektiven Aktion einer Swing Lesson im legendären Clärchens Ballhaus, einem der letzten erhaltenen Ballhäuser aus der Zeit um 1900 in Berlin Mitte.

Zu ihrer künstlerischen Verfahrensweise des Mixens und Remixens von Materialien gelangte Ina Wudtke durch ihre intensive Beschäftigung mit sogenannter „schwarzer“ DJ-Culture, Jazz, Hip Hop und Raggae. Die belgische Tänzerin Sophie Monheim bat sie eine Lindy Hop Choreografie für den Titelsong des Albums zu erarbeiten. Die Künstlerin lud Monheim dann infolge ein, diese Choreografie mit den anwesenden Gäst_Innen im Clärchens Ballhaus einzustudieren. Ina Wudtke greift in Swing Lesson jene Standard Teaser auf, die den Gäst_Innen kostenlos Tanzunterricht bieten und unterläuft dieses Format indem sie es für eine Antigentrifizierungsaktion benützt und dadurch Lust und Bewusstsein an einem gemeinsamen Protest aktiviert.

Welche Methoden gibt es heute, Bürger_Innen in Bewegung zu bringen? Welche künstlerische Strategien für eine aktive Mitwirkung können entwickelt werden, die über gängige partizipatorische Formate hinausgehen und einer defizitären Durchdringung unserer Gesellschaft durch profitgierige Marketingmodelle entgegenwirken? Ina Wudtke reflektiert kritisch, welche Ästhetik und Zielsetzungen politisch ambitionierte Kunst heute verfolgt. In einer konfliktvollen Welt, setzt Wudtke lustvolle Moves und schafft damit einen erweiternden handlungsanregenden Horizont der politischen Vitalität.

1999 war Wudtke Mitbegründerin des ersten weiblichen DJ-&Mc Kollektives in Berlin, Femmes With Fatal Breaks, mit dem sie über zehn Jahre lang als Break Beat DJ auftrat. Gemeinsam mit internationalen Zusammenschlüssen wie Jungelist Sistaz, Ladyfest und female:pressure engagierten sich die Femmes With Fatal Breaks für die Sichtbarkeit von Frauen in der Musik.

Als Swing DJ agierte die Künstlerin aka T-INA Darling mit DJ Sets wie Fight Gentrification in the Inner Cities! in deren Playlist sich neben den eigenen Songs, wie Landlord Blues, I Am The Law oder The Fine Art of Living, auch Songs von Gil Scott Heron, Jimmy Witherspoon oder Nina Simone befinden. Ina Wudtke beteiligte sich als DJ an politischen Events, um einkommensschwache Mieter_Innen politisch zu unterstützen. Gezielt wählte sie für ihre DJ-Sets Songs aus dem Reggae, Hip Hop, Blues, Soul, Funk und Swing, die sich textlich mit Mietproblemen befassen. Wie sie ihre realpolitischen Aktivitäten durch künstlerische Methoden und Strategien einer Neukontextualisierung unterzieht, zeigt sich hautnah in ihrem Video Parade (2010). Dabei geht es, auf „schlingensiefsche Weise“, um eine Überidentifizierung mit dem Gegner, dem Gentry, jenem Wohlhabenden, der jene vertreibt, die jahrelang in den Häusern wohnen. Dem Mangel an politischer Clubmusik für die Masse an jungen Demonstranten bei Antigentrifizierungsdemonstrationen schaffte Ina Wudtke Abhilfe. Sie gestaltete einen fahrenden Demonstrationswagen im Design einer mobilen Dachterrasse, der wie der Show-Room einer hochpreisigen Immobilienfirma ausgestattet war und performte darauf mit den Femmes with Fatal Breaks

(T-INA Darling, QUIO, Christine Lang). Während der Demo wurde Werbematerial für die fiktive Immobilienfirma „Diabolo & Garnischt“ unter den Passant_Innen und Schaulustigen verteilt. Während Ina Wudtke, unterstrichen durch ihr Business-Man-Outfit, am Mikrophon den Investor mimt, übernahm QUIO den Part der Künstlerin, die der Investor aus seinem neu erworbenen Eigentum hinauswirft. Performance wird hier als politisch-ästhetisches Instrumentarium eingesetzt, um gesellschaftliche Konflikte zu verhandeln.

Bereits während ihres Studiums an der Hochschule für bildenden Künste Hamburg trieb es Ina Wudtke an die Turntables, zeigte sich ihre Leidenschaft für schwarzen Sound, konterte sie auf Dominanzverhältnisse im schwarzen Rap und decodierte einschlägige feministische Diktionen westlicher Kultur. Es ist der Start einer Revolte, die Ihren Ursprung in dem, was Paul Gilroy „black atlantic“ nennt, hat. Das Neuarrangieren, Remixen und Umgestalten vorhandener Arbeiten als Methode durch welche die Künstlerin ihre Beziehung zur Arbeit aktualisiert, überprüft und neu definiert, ist eine Methode, die Ina Wudtke auch in ihren raumgreifenden Textilarbeiten wie HOOD (2013), I AM THE LAW (2014) oder LANDLORD BLUES (2016) praktiziert. HOOD, besteht aus einem zweiteiligen schwarzen Vorhang auf den mit silbernen, goldenen und roten Pailetten der Songtext des Titelsongs von The Fine Art of Living angebracht ist. Im Hip-Hop ist das Glitzern und Glänzen das sogenannte „bling-bling“ beliebt und in Raptexten verewigt worden. „Es ist der Luxus, den wir performen und den wir uns nicht leisten können“, kommentiert die Künstlerin.

Hinter dem von Ina Wudtke für ihre Installationen wie LANDLORD BLUES (2016) verwendetem Wax Stoff steckt eine komplexe Kulturgeschichte. Unter anderem von der Firma Vlisco werden diese farbenprächtigen Stoffe in Holland vorallem für den afrikanischen Markt produziert. Sie werden von Afrikaner_Innen und Europäer_Innen gleichermaßen, fälschlicherweise als afrikanische Stoffe wahrgenommen, sind jedoch „African fake“ – wie Yinka Shonibare MBE sie einmal in einem Interview bezeichnete. Für ihre Installation LANDLORD BLUES wählte die Künstlerin einen Wax Stoff mit einem Muster aus roten Stühlen. Im afrikanischen Kontext symbolisiert ein Stuhl Macht, Ina Wudtke verwendet den Stuhl darüber hinaus auch als Verweis auf das Wohnen. Wie die Träger der Stoffe an der Westküste Afrikas will sie in ihrer Installation durch die Stoffmuster eine Message transportieren: Den Verlust ihrer geliebten Berliner Wohnung durch Mieterhöhung. Das Stuhlmuster fungiert dabei als visueller synkopischer Beat unter dem darüber liegenden Tüllstoff der den Songtext in Form von silbernen Buchstaben trägt.

In ‘Data DJ’, einem Text der 1997 im Reader First Cyberfeminist International erschien, schrieb Ina Wudtke: „Als DJ arbeite ich mit allem was mein Mixer zu bieten hat: cutten, pitchen, transformen, das Mixen von einem Track über einen anderen, Equalizereinstellungen ändern. Ich verwende auch Effekte wie Delay, Flanger, Reverb und so weiter. Ich versuche meine LP Sammlung sehr offen zu halten. Das heißt ich kombiniere alle Arten von Musik wie Film Musik, Diashow-Soundtracks, Hip Hop, House, Soul, Märchenplatten für Kinder, Orchestermusik, Reden und so weiter…Dennoch mixe ich in einer Art und Weise, dass alles perfekt zusammenpasst. Wenn jemand meine Mixe hört kann die Person davon ausgehen, dass ich auch meine, was dort gesagt wird, Worte sind ein Bestandteil der „Stimmungsskulpturen“, die ich mixe. Aber wie DJ Spooky einmal sagte: Viele Leute hören und hören dennoch nicht! (…) Was immer ich anpacke – Sound, Publikationen, Installationen,  – das Einzige was bleibt, ist die konstante Veränderung. Das ist mein Bestreben und mein ästetischer Anspruch, ganz wie ein Daten DJ: zusammentragen, mixen, re-repräsentieren.“[2]

Durch die Verwendung medienübergreifender Methoden des Mixens, Remixens und Sampelns referiert Ina Wudtke an afroatlantische Traditionen, die sie durch die Musik kennenlernte und übertrug diese in den Kunstkontext. Ihre Kunst des Mixens versteht sie als die Produktion von Kontexten und Erzählungen. Dabei verschränkt sie afroatlantische Kunst, die klassischer Weise zumeist in Musik und Performance auftritt mit europäischer Kunst, die sich traditionell auf visuelle bildliche Darstellungen fokussierte und erst mit dem Aufkommen der Konzeptkunst in den 60er Jahren einen gemeinsamen Raum mit afroatlantischer Kunst besetzten konnte. Durch die Proteste von schwarzen Künstler_Innen gegen die vormals weitgehend weißen amerikanischen Kunstinstitutionen in den Jahren der Bürgerrechtsbewegung war diese Erkämpfung eines gemeinsamen Raumes erreicht geworden.[3] Dieser Raum ist es, der die Arbeit von Ina Wudtke überhaupt erst möglich gemacht hat.


[1] Adrian Piper, „Notizen zu Funk II, Oktober 1983, Notes on Funk I-IV“, in: Sabine Breitwieser (Hrsg.),  Adrian Piper seit 1985: Metakunst und Kunstkritik, Wien, 2002, Generali Foundation,  S. 236.

[2] Ina Wudtke, „Data DJ“, in: Old Boys Network (eds./Hrsg.), First Cyberfeminist International, Kassel, 1997, S. 85.

[3] Siehe Dieter Lesage & Ina Wudtke, Black Sound White Cube, Vienna, Loecker, 2011.

Dieser Text wurde 2018 auf Englisch veröffentlicht in: Andrej Holm, Elke Krasny, Dieter Lesage, Ursula Maria Probst, Ina Wudtke, Florian Wüst, The Fine Art of Living. Ina Wudtke, Berlin, Archive Books, 2018, 192 pp.