Ein Interview zu der Ausstellung

Ina Wudtke

Griot Girl

kjubh Kunstverein, Köln
20. Februar – 21. März 2010

Frau Wudtke, im kjuhb Kunstverein in Köln zeigen Sie vom 20. Februar bis zum 21. März 2010 die Ausstellung „Griot Girl“. Was präsentieren Sie mit „Griot Girl“?
Ina Wudtke: Ich zeige Arbeiten der letzten vier Jahre. Die aktuellste daraus ist die Dubplate „The Fine Art of Living“. Die habe ich 2009 produziert.

Eine Dubplate ist eine spezifische Testpressung einer Schallplatte. Wie inszeniert man eine vornehmlich auf Klang beruhende Arbeit in einer Ausstellung?
Wudtke: In Köln zeige ich eine gerahmte Dubplate als 5er-Edition. Man kann sich die Stücke während der Ausstellung in gleichbleibender Qualität auf CD anhören. Es hat mich bei „The Fine Art Of Living“ sehr interessiert, wie die Innenstädte der Weltmetropolen gentrifiziert werden. Meine eigene Situation in Berlin-Prenzlauer Berg hat mich diese weltweiten Prozesse am eigenen Leib erleben lassen. Es gibt sogar in Berlin Vermieter, die die Mieter mit kriminellen Methoden los werden wollen. Sie versuchen, Leute mit eher wenig Geld zu vertreiben.

Das Medium Dubplate steht ja in der Tradition schwarzer Musik von Blues über Jazz bis hin zu Hip Hop und Dubstep.
Wudtke: Für mich ist es zunächst ein therapeutischer Ansatz, diese Geschichten in Bezug auf meine Wohnungssituation zu verarbeiten. Ich habe bei Bernhard und Anna Blume studiert und diesen Ansatz, der auch in ihrer Kunst gegenwärtig ist für mich genutzt. Ich möchte damit aber auch an die Geschichten anderer Menschen – darunter auch Musiker und Künstler – anknüpfen, die ähnliches erleben wie ich. Etwa der erste Hip Hop DJ der Welt: DJ Kool Herc, der in der Bronx aus den sozialen Wohnungsbauten, den „Projects“ kommt. Ein Investor hat jetzt der Stadt New York viel Geld angeboten um die Projects aus dem “Rent Control Program“ herauszukaufen und Sozialwohnungen in Lofts umzuwandeln. DJ Kool Herc hat mehrere Widerstand-Partys in seiner Nachbarschaft in der Bronx und auch in Harlem organisiert. Das “Project“ in dem er aufwuchs und in dem er die erste Hip Hop Party der Welt veranstaltete “Sedwick Avenue 1520“ wurde letztes Jahr trotz aller Widerstände an diesen Investor verkauft. Damit wird bezahlbarer Wohnraum in New York immer knapper. Denn auch die Mieten der Nachbarhäuser steigen an, sobald die ersten Lofts fertiggestellt sind. Schon vor ihm hat Langston Hughes, ein Schriftsteller der Harlem Renaissance, einige Gedichte über sozial benachteiligte Mieter mit niedrigem Einkommen verfasst. Diese Texte aus den Zwanziger Jahren habe ich auf meiner Dubplate – neben eigenen Stücken – neu interpretiert.

Sie sind Künstlerin und DJ. Haben Sie ähnlich wie Kool Herc auch Partys organisiert?
Wudtke: Noch nicht im Zusammenhang von “Gentrification“, aber ich habe an einigen Demonstrationen in Berlin teilgenommen, die sich zum Beispiel gegen das Vorhaben „Mediaspree“ richteten. Unter diesem Banner sollen in Berlin-Kreuzberg zur Zeit Medienunternehmen entlang des Spree-Ufers angesiedelt werden. Desweiteren habe ich Radiosendungen zu diesem Thema gemacht, in denen ich passende Swing- und Breakbeat-Stücke aufgelegt – und meine Dubplate gespielt habe.

Die Dubplate ist ja der Heiliger Gral der DJ-Kultur. Sie ist heiß begehrt wegen ihrer Exklusivität.
Wudtke: Ich finde das ein schönes Medium, da meine Arbeiten fest in der DJ-Kultur verankert sind. An der Dubplate mag ich überdies die Möglichkeit, individuelle Botschaften in das Material eingravieren zu können. Mein neues Buch, das ich derzeit mit dem belgischen Philosophen Dieter Lesage zusammen schreibe, trägt den Titel “Black Sound White Cube“ und wird im Sommer erscheinen. Wir untersuchen darin die Zusammenhänge zwischen schwarzer Musik und Bildender Kunst. Die Kultur der Sound Systems, die ursprünglich aus Jamaika kommt und von dort ihren Weg in die westlichen Zentren nahm, hat mein Selbstverständnis als DJ wie auch meine Arbeiten in der Bildenden Kunst gleichermaßen geprägt.

Was haben Sie in die Dubplates von „The Fine Art of Living“ eingraviert?
Wudtke: Nur eine Nummerierung und eine Signatur. Die erste Presssung allerdings habe ich einem Freund gewidmet. Dem habe ich eine Zeichnung samt Widmung eingeritzt. Eine Dubplate besteht aus einem Metallkern mit einem besonders empfindlichen Lack sowie zwei Löchern. Man kann sie wie eine Schallplatte ca 20 Mal abspielen dann fängt sie an an Klangqualität zu verlieren. Der praktische Nutzen der Dubplate besteht darin, dass man das Mastering eines neuen Tracks testet, bevor man große Auflagen in Vinyl pressen lässt.

Ebenso wie dieses besondere Material der Dubplate bezieht sich auch der Titel von „Rize“, einer Serie von Zeichnungen für „Griot Girl“, direkt auf die schwarze Popkultur. Denn es gibt einen gleichnamigen Film über eine neuere Bewegung von Breakdancern in Los Angeles. Regisseur und Fotograf David LaChapelle hat ihn im Jahr 2005 gedreht.
Wudtke: Seit ich klein bin, begeistere ich mich für Schwarze Musik, für Jazz und Swing und Hip Hop. Wie so viele Menschen in Deutschland habe ich über verschlungene Wege von dieser Musik erfahren. Zuerst sogar über Marilyn Monroe. Mein Vater schenkte mir eine Monroe-Platte, da war ich sechs Jahre alt und sofort Fan. Erst später merkte ich: Die Monroe singt da lediglich eine Broadway-Version von Jazz.

Nach meinem Studium schließlich brachte mich ein DAAD-Stipendium nach New York, in eine der wichtigsten Städte schwarzer Kultur. In Hamburg hatte ich zuvor bereits in der Hip Hop-Szene gearbeitet. Zum Beispiel habe ich das Cover für die erste deutschsprachige weibliche Hip Hop-MC Cora E gestaltet und für die Compilation „Kill The Nation With A Groove“ von Buback Records die Fotos beigesteuert, sowie für das Magazin MZEE fotografiert. Mitte der Neunziger Jahre lebte ich in der „Jam Culture“ New Yorks. Eine Zeitlang war ich mit einem Graffiti-Writer zusammen und legte selbst manchmal auf drei verschiedenen Partys an einem Tag auf. So lernte ich DJ Spooky The Subliminal Kid kennen und machte ein halbes Jahr viele Warm Up Sets für ihn in New York. Ich begann mich durch seinen Einfluß auch für Musik zu interessieren, die nicht zum Tanzen allein entsteht. Auf unseren Partys in einem ehemaligen Proberaum von Sonic Youth wurde Spoken Word und instrumentale Musik ebenso gespielt wie experimentelle DJ-Sets. Das Publikum lag auf einer riesigen Matratze, die fast den gesamten Raum ausfüllte.

Bei David LaChapelles Film „Rize“, den ich 2006 zum ersten Mal sah, konnte ich erkennen, dass Breakdance sich weiterentwickelt hat. Die Tanzstile darin sind sehr vom Fernsehen und von Porno-Filmen inspiriert (“Clowning“ und “Stripper Dance“).Tommy The Clown, der Protagonist in „Rize“ hatte nach einer Haftstrafe mit dem Drogen-Dealen aufgehört, um etwas für die Jugend in seiner Nachbarschaft auf die Beine zu stellen. Er schminkt sich das Gesicht und stellt einen Clown dar, während er selbst tanzte und auch Break Dance Crews aus Nachbarkindern rekrutierte. Allerdings keinen klassisch europäischen Clown, eher schon eine Mischung aus Ronald McDonald und afrikanischer Gesichtsbemalung. Daraus ist eine sehr lebendige neue Breakdance-Bewegung in LA entstanden.

Make-Up und Kostüm haben auch etwas Superheldenhaftes.
Wudtke: Ja, genau. Das hat ja auch Hip Hop Kultur immer – diesen Einfluss von Comics. Disneys Zeichner wiederum haben sich früher von Jazz Band-Performances inspirieren lassen, zum Beispiel von den Bewegungen des Pianisten Fats Waller oder Cab Calloway der in einer Episode von der Zeichentrickserie „Betty Boo“ als Gespenst dargestellt wird, welches mit den unverwechselbaren Gesten von „Cabby“ zu einem seiner Stücke tanzt.

Und der Jazz-Avantgardist Sun Ra war Walt Disney-Fan.
Wudtke: In Harlem, New York sieht man zu Halloween viele Kinder in Tier- oder Superman-Kostümen. Der Austausch ist also da. Blaxploitation-Filme, die Selbst-Inszenierungen von Drag Queens, und eben Clown-Breakdancer gleichermaßen haben mich letztendlich auf meine eigene Maske für den Film „A Portrait of the Artist as a Worker (RMX.)“ gebracht.

Wo kommt das „Remix“-Kürzel im Titel her?
Wudtke: Dieter Lesage hatte einen Text über meine Arbeit geschrieben mit dem Titel „A Portrait of the Artist as a Worker“. Als ein Remix daraus entstand mein Skript für mein Video „A Portrait of the Artist as a Worker (RMX.)“. Es geht darin um alles, was eine Künstlerin in ihrem Arbeitsalltag erledigt. Entstanden ist der Film im Rahmen der Ausstellung „Academy – Learning From Art“ im MUKHA, dem Museum für zeitgenössische Kunst Antwerpen. Die Kunsthochschulen arbeiten zur Zeit gerne mit dem Begriff „künstlerische Forschung“. Um europäische Kunsthochschulen ins Bachelor-Master-System zu integrieren, versucht man Bildende Kunst messbar zu machen. Künstler und Künstlerinnen sollen von den Hochschulen jetzt also evaluiert werden, da es sogar einen neuen Abschluss gibt wie den des „Doktor in der Kunst“. Deshalb habe ich in diesem Video darüber nachgedacht, aus was die Arbeit eines Künstlers besteht damit sie richtig evaluiert werden kann. Und was die entscheidenden Begriffe in diesem Prozess sind.

In „herspace“, einem weiteren Video-Film, den Sie in „Griot Girl“ zeigen, spielen Sie dagegen verschiedenartige Typen von DJs.
Ich betrachte „herspace“ als eine kritische Analyse von Selbständigkeit in der kapitalistischen Gesellschaft am Beispiel von DJs. Ich bin ja selber DJ. Das Video trifft aber wohl genauso zu für Schriftstellerinnen, Fotografinnen, Journalistinnen u.a. Es ist eine Blaupause für künstlerische Selbständigkeit. Im Nachhinein freut mich die Oralität des Films. Sprache interessiert mich sehr. Durch Ausstellungen und Stipendien in diversen Ländern erlebe ich wie sich Englisch in Frankreich, Deutschland und auch in den USA niederschlägt. Diese teilweise fehlerhaften Einfärbungen fand ich immer sehr charmant und identitätsstiftend bei Freundinnen und Kolleginnen.

Sie spielen diese Figuren mit großer Freude.
Wudtke: Ja, es erzählt sehr viel über die globalen Zusammenhänge, überall wird Englisch gesprochen. HipHop etwa ist ja ein Medium meiner Generation. Meine Wurzeln liegen eben auch da. Anders als bei nur akademisch geprägten Künstlern habe ich durch meine eigene Sozialisation die afro-atlantische Kunst mitsamt ihren Institutionen immer als gleichwertig mit jener Kunst eingeschätzt, wie sie lange in europäischen Museen zu sehen gewesen ist. Bis zur Bürgerrechtsbewegung hing ja in den Museen fast keine Kunst von schwarzen Künstlern. Erst seit den Sechziger Jahren kommt überhaupt die Kunst von Nicht-Weißen in die Museen. Deswegen gibt es für mich auch keinen Gegensatz zwischen DJ-Kultur und Künstlertum.

Dem Begriff des Riot Girl, der im Kunstzusammenhang auf feministische Kunst im Rock- und Punkkontext verweist, setzte ich den selbst formulierten Begriff des “Griot Girl“ entgegen. “Griot Girlz“ stehen ebenfalls für feministische Kunst, jedoch im Kontext von Musik mit afrikanischen Wurzeln, also Jazz, Hip Hop, Dubstep und weitere. Griot bezeichnet in oralen afrikanischen Kulturen die Personen, die die Geschichte ihrer Gemeinschaft bewahren und mündlich überliefern. Noch heute erzählen “Griot Girlz“ eine Geschichte, oft – aber nicht nur – in gedächtnisstützender Technik wie dem Reim oder Rap. Meine Kunst entsteht auf der Matrix von “Black Sound“. Diesen begreife nicht nur als authentische afro-atlantische Kultur, sondern auch als globale Sprache meiner Generation.

Christoph Braun